Was ist Wert?

Der obere Teil des Verhältnisses erscheint zunächst eindeutig und selbstredend, wer keine Kundenbedürfnisse erfüllt verkauft auch nichts. Aber wer ist überhaupt Kunde und was genau ist unter Bedürfnissen zu verstehen? 

Zunächst spricht die DIN EN1325 in ihrer Abbildung lediglich von der Befriedigung von Bedürfnissen, die “Kundenbedürfnisse” habe ich hier eingefügt, aber warum in Klammern? Sprechen wir von Bedürfnissbefriedigung ist der Begriff sehr weit gefasst, wessen Bedürfnisse? Die der Kunden unserer Kunden? Die von allen Stakeholdern?

Setzt man value-engineering als Teil der value-methodology voraus, ist dies durchaus ein sehr ganzheitlicher Ansatz und auf langfristigen Erfolg ausgelegt. Befriedigt ihr Produkt also lediglich die Bedürfnisse ihres Kunden, kann dies zu kurz- und ggf. mittelfristigen Verkaufserfolgen führen. Ihrem Kunden kann es jedoch langfristig schaden, sofern andere Stakeholder auf der Strecke bleiben.

Man könnte an dieser Stelle argumentieren, dass genau dies, der in der Zukunft liegende Schaden für ihren Kunden, auch die Befriedigung der Bedürfnisse von Stakeholdern zu einem ureigenem Kundenbedürfnis macht. Dennoch muss gerade in einer ganzheitlichen Sichtweise bedacht werden, dass wir uns in einem multipolaren Umfeld und vor allem einem multipolarem Markt bewegen.
Sind sie beispielsweise ein Flugzeughersteller, haben ihre Kunden in erster Linie kein Leistungsbedürfnis im Bezug auf einen alternativen Antrieb. Der Antrieb muss sparsam, leise und leistungsstark sein, gepaart mit einer adäquaten Reichweite. Man könnte nun die Öffentlichkeit bzw. Klimaschutzgruppen (welche oftmals auch Kunden sind) als Stakeholder heranziehen und somit einen höheren Wert des Produktes durch einen alternativen Antrieb anführen. Neben der Frage der Gewichtung der Bedürfnisse (Klimabilanz vs. Reichweite) stellt sich auch die Frage, ob ihr Kunde danach gefragt hat? Oder mit anderen Worten, warum will Ihr Kunde das garnicht?
Natürlich kann dies am Mangel einer ganzheitlichen Sichtweise ihres Kunden liegen. Ebenso möglich ist es jedoch, dass es einen anderen Marktteilnehmer gibt der das Bedürfnis der Stakeholder (möglichst geringe CO2 Bilanz) bereits erfüllt oder in Zukunft erfüllen wird. Dies könnten im gewählten Beispiel neben Lösungen wie CO2 Kompensation zukünftig auch carbon capture Technologien sein.

Die Erfüllung von Bedürfnissen der Stakeholder ihrer Kunden ist also vorsichtig abzuwägen und im besten Fall natürlich mit den Kunden zu diskutieren. Aber auch wenn wir uns auf Kundenbedürfnisse beschränken und Bedürfnisse der Stakeholder nur bedingt einbeziehen, stellt sich weiter die Frage wer genau Kunde ist?

Hier kommen natürlich Personas von Einkauf bis Montage ins Spiel. Ähnlich wie zuvor stellt sich auch hier wieder die Frage der langfristigen Ausrichtung ihres Unternehmens, welche an dieser Stelle nicht erneut ausgeführt wird.
Nehmen wir für den Moment an sie haben eine klare Kundendefinition. Haben sie nur einen Kunden können sie zum nächsten Schritt übergehen und die Kundenbedürfnisse aufnehmen. Haben sie mehrere Kunden wird es schon schwieriger. Kunde A und Kunde B müssen nicht zwingend deckungsgleiche Bedürfnisse haben, herrscht eine Bedürfnisdivergenz muss auf mehreren Ebenen abgewogen werden. Oftmals ist eine Bedürfnissdivergenz bereits absehbar und es können Kundengruppen gebildet werden.
Diese sollten jedoch nicht in Stein gemeißelt sein, da im weiteren Verlauf der Betrachtung der Bedürfnisse neue Segmentierungen notwendig werden können.

Sind die wichtigsten bzw. konfliktbehaftesten Kundenbedürfnisse aufgenommen, ist zunächst der Vertrieb bzw. die Marktanalyse gefragt. Welcher Kunde oder welche Kundengruppe bringt wie viel Umsatz? Viel wichtiger, wie viel weniger Umsatz ist mit dieser Kundengruppe zu erwarten, sollte das betreffende Bedürfnis nicht erfüllt werden? Ist dieser Umsatzverzicht absolut gesehen signifikant genug, kann eine separate Variante des Produktes ins Erwägung gezogen werden. Hier ist das Zusammenspiel von Marktanalyse und cost-engineering entscheidend um schnelle und faktenbasierte Entscheidungen zu treffen.
Dieser Prozess wird natürlich zunehmend komplizierter, je mehr Kunden sie haben und potenziert sich mit steigender Anzahl an divergenten Bedürfnissen.

Kundenbedürfnisse selbst können in Leistungs- und Geltungsbedürfnisse eingeteilt werden. Eine hochwertige Oberfläche, die technisch vielleicht nicht nötig wäre, kann in Form eines Geltungsbedürfnisses aufgenommen werden. Der Vertrieb muss nun Prüfen, ob es in der Kommunikation deutlich gemacht werden kann, dass dies für den use-case des Produktes nicht nötig ist und durch den Verzicht auf dieses Bedürfnis ein Kostenvorteil entsteht.

Gerade an Geltungsbedürfnissen entzünden sich oftmals Konflikte in einem Projekt- oder Entwicklungsteam. Anforderungen die aus Sicht der Technik “völlig unnötig” sind, der Vertrieb jedoch unbedingt haben will. Auch hier hilft eine Bezifferung der Umsatzeinbußen bei Verzicht auf das Geltungsbedürfnis um die Diskussion zu versachlichen.

Wie im nächsten Schritt Bedürfnisse in Funktionen übersetz werden können würde an dieser Stelle zu weit in den value-engineering Prozess führen. Es wird jedoch bereits deutlich, wie viel umfassender value-engineering im vergleich zu cost-engineering ist.

Nun aber zum eindeutigeren, unterem Teil des Verhältnisses von Bedürfnissen und Ressourcen.

Um den Wert eines Produktes zu bestimmen muss die Befriedigung der Kundenbedürfnisse nun ins Verhältnis zu den eigesetzten bzw. verbrauchten Ressourcen gesetzt werden. Die ersten und am einfachsten zu ermittelnden Dimensionen sind wohl Material- und Fertigungskosten. Wobei Fertigungskosten sich bereits in direkte Personalkosten, indirekte Personalkosten (Wartung etc.), Maschinenkosten, Mietkosten, Energiekosten und vieles Weitere untergliedern. Weitergehend sind aber natürlich auch Entwicklungs- und Verwaltungskosten zu betrachten, kurzum: Alle Kosten die auch in eine Produktergebnisrechnung einfließen würden.

Aber auch hier kann noch weiter gegangen werden. Opportunitätskosten, time to market und viele weitere Faktoren sind Ressourcen die ihr Unternehmen einsetzt, Faktoren die optimiert werden können, um den Wert des Produktes zu steigern. Die Komplexität eines vermeintlich so simpel erscheinenden Verhältnisses mag abschreckend wirken, es darf jedoch eines nicht aus den Augen verloren werden:

Im value-engineering geht es nicht darum jeden Aspekt bis ins letzte Detail zu verfolgen, ganz im Gegenteil.
Ein gutes value-engineering zeichnet sich da durch aus stets potentialorientiert zu arbeiten.
Wo liegt der größte Hebel, wie komme ich schnell zu einer faktenbasierten Entscheidung und am wichtigsten:

Das Wertverständnis ist eine Denkweise, keine Formel die es zu errechnen gilt, eine Denkweise die im Team gelebt werden muss.

Im gesamten Prozess kommt es immer wieder zu Abwägungen, faktenbasierten Entscheidungen. Dieses Faktensammeln, quantifizieren von Kosten für Produktvarianten, Fertigungsansätzen und Funktionen wird oft gescheut. Wozu komplizierte Analysen anstellen, die viel Zeit und Aufwand kosten, wenn man doch über reichlich “Markterfahrung” verfügt? Erfahrung wird in solchen Diskussionen leider zu oft als Deckmantel für ein Bauchgefühl missbraucht.
Scheuen sie also nicht vor Quantifizierung und einer ganzheitlichen Betrachtung zurück, nutzen sie Methodiken, Softwaretools oder eine externe Moderation des Prozesses um einen transparenten und faktenbasierten Entwicklungsprozess sicherzustellen.